Menschensohn

Inszenierung, Choreografie, Bühne
Gregor Seyffert
Kostüme Gabriele Kortmann
Fotografie/Videos Michél Valentino
Choreografische Assistenz Heike Keller
Dramaturgische Mitarbeit Kathi Loch
Tonschnitt Julio Dertoni
Texte
Klaus Kinski
Tanz Mitglieder des ThüringenBallett
Ballettdirektor Ivaylo Iliev
Musik Apocalyptica, Tyler Bates, René Dupéré,
Enya, Peter Gabriel, Karl Jenkins, Les Tambours du Bronx

Gespräch mit Gregor Seyffert und Kathi Loch,
Dramaturgin der TheaterPhilharmonie Thüringen am 29.10. 2009

Kathi Loch: Herr Seyffert, wie sind Sie zum Thema „Menschensohn“ gekommen? Oder wie ist das Thema zu Ihnen gekommen?

Gregor Seyffert: Grundsätzlich ist es so, dass sich bei mir immer zahlreiche Themen ansammeln. Man steckt in einer bestimmten Produktion, und auf Seitenwegen kommen dabei neue Einflüsse dazu. So habe ich dann ein Portfolio von Inszenierungs-ideen, die irgendwann nach der Umsetzung schreien. Mich interessieren meist Persönlichkeiten mit einer starken inneren und äußeren Zerrissenheit, unangepasst und nicht systemkonform - das sind die Spannungsfelder für meine Inszenierungen. Jesus Christus etwa, der die Inspiration für das Stück „Menschensohn“ ist, begegnet uns beispielsweise erst einmal in all den idealisierten Bildern, die man in Kirchen sieht. Aber beim Nachdenken über diese Figur, kommt man zu dem Schluss, dass Jesus in erster Linie ein Mensch war, der seine Ängste, Nöte und Sorgen hatte. Schließlich trug er eine enorme Verantwortung, indem er eine ‚Community’ um sich scharte und neue Wege gehen wollte und dabei auf erbitterten Widerstand traf. Dieses Potenzial, das es hinter der Fassade zu entdecken galt, ist reizvoll zu inszenieren. Der schöne ‚Prinz Siegfried’ interessiert mich weniger. Obwohl: Den könnte man auch psychisch zerrissen zeigen...

Kathi Loch: Wie hat sich die Figur des Menschsohns für Sie geformt? Es handelt sich hier ja nicht um den biblischen Jesus, auch wenn der immer wieder durchscheint.

Gregor Seyffert: Ich habe versucht, alle Informationsquellen zu nutzen, derer ich habhaft werden konnte, angefangen natürlich bei den biblischen Texten mit deren Hintergründen. Es gibt da eine Menge brisanter Fragen: Wie sind die Texte entstanden? Wie sind sie überliefert worden? Wer hat damals unter Umständen einen Nutzen daraus gezogen, dass die Texte so sind, wie sie sind. Besonders schwierig war es, Informationen über den historischen Jesus, der tatsächlich existiert hat, zu finden. Vielleicht war es nicht unbedingt erwünscht, zu thematisieren, wer ‚Jesus’ wirklich war. Zum anderen ist nach 2000 Jahren die offizielle Quellenlage relativ dünn. Es gibt eine Menge Spekulationen darüber, wie sich Dinge abgespielt haben könnten, die ‚unbefleckte Empfängnis’ zum Beispiel. Dazu gibt es Überlegungen aus dem medizinischen Bereich oder die Theorie, dass Maria vergewaltigt wurde, ihre Familie dies aber aus Scham geheim hielt. Da setzte sich quasi ein Mosaik zusammen, das ein gewisses Eigenleben entwickelte. Schließlich haben mich, was die Figur ‚Jesus’ betrifft, die Texte von Klaus Kinski auf eine Generallinie gebracht. Sie verbinden biblische Aussagen – oft selbst sehr aktuell – mit heutigen politischen brisanten Themen, dem Waffenhandel etwa, oder der Tatsache, dass die Kirche gelegentlich Dinge unterstützt, die nun wirklich nicht zu den Ideen passen, die ‚Jesus’ propagiert hat. So ist der Menschensohn eine Figur geworden, die durch alle Zeiten geht.

Kathi Loch: Wie findet man für solch eine Figur Bewegungen? Wie finden Sie überhaupt Bewegung?

Gregor Seyffert: Zunächst interessiert mich Tanz als Selbstzweck überhaupt nicht. Für mich sind die Bewegung, die Virtuosität und das Training, mit dem die Tänzer sich jeden Tag fit halten, einzig und allein dazu da, Dinge erzählen zu können. Ich gehe ins Theater, um Emotionen und Geschichten erleben zu können und so möchte ich Theater selbst auch inszenieren. Choreographien müssen mit Bewegung etwas erzählen. Je klarer und deutlicher das Thema ist, je konkreter demzufolge meine Aufgabenstellung ist, desto schwieriger wird es. Insgesamt verstehe ich mich eher als Regisseur, der gern die Tanzsprache benutzt. Mit dem Opern- oder Schauspielregisseur eint mich das Ziel, eine Geschichte oder eine Situation, die der Zuschauer persönlich kennt oder nachvollziehen kann, mit bewegenden Bildern nahe zu bringen. Der Tanz hat natürlich den Vorteil, dass er sehr direkt und schnell Emotionen transportieren kann. Er kann manche komplizierte Zusammenhänge oder Inhalte nicht so gut erklären, das kann wiederum das Schauspiel besser. Aber dieses Direkte, dieses Emotionale, das funktioniert mit Tanz und Bewegung am besten.

Kathi Loch: Das heißt, für Sie sind Tänzer in erster Linie Darsteller?

Gregor Seyffert: Ich würde noch weiter gehen: Tänzer sind Schauspieler, die mit Bewegung etwas erzählen. Die Tänzer trainieren hart und schulen ihren Körper und schuften – es ist ein Wahnsinn, was dieser Beruf für eine Kraft kostet – darum wäre es viel zu schade, sie lediglich als Tanzmaschinen, die sich zu schöner Musik schön bewegen, einzusetzen. Was meine eigenen Produktionen betrifft, ist es keineswegs so, dass ich den Tanz für das einzige Darstellungsmittel halte. Wenn es die Inszenierung erfordert, sind andere Künste und Künstler, die dazukommen, sehr inspirierend: Artistik und Marionettenspiel, Stuntmen oder Musiker. Mich interessieren immer die neue Formen für eine, sagen wir, besondere Art des ‚Erlebnistheaters’.